„Setz dich erstmal hin und atme tief durch“ – das hast du bestimmt schon einmal gehört. Unsere Atmung steht in engem Zusammenhang mit unseren Emotionen, unserem emotionalen und mentalen Zustand. Neurowissenschaftliche Erkenntnisse bestätigen mittlerweile, was Meditation und Yoga seit Jahrhunderten lehren: Durch bewusste Atmung können wir unser Nervensystem regulieren und damit Gefühle wie Stress oder Angst beeinflussen. Im Folgenden erfährst du, wie Atmung auf deine Gehirn und Körper und so auf deine Emotionen wirkt, und welche wissenschaftlichen Studien diese Verbindung untermauern.
Inhaltsverzeichnis
Atmung und autonomes Nervensystem
Wenn wir uns verängstigt oder gestresst fühlen, wird unser Atem flach und kurz, wenn wir entspannt sind, tief und ruhig. Diese Verbindung zwischen unserem Gemütszustand und unserem Atem ist einzigartig. Er wird sowohl unbewusst vom autonomen Nervensystem gesteuert, wir können ihn und damit auch unseren Zustand aber auch willentlich beeinflussen.
Diese enge Verbindung von Atemrhythmus und autonomem Nervensystem erklärt, warum bewusste Atemtechniken so unmittelbar wirken.
Wenn Du wissen willst, was das autonome Nervensystem ist und wie es funktioniert, dann lies meinen Blogbeitrag „Autonomes Nervensystem und Stress – der unterschätzte Zusammenhang“
Nur nochmal zur Wiederholung: Das autonome Nervensystem hat zwei Hauptakteure: den Sympathikus (zuständig für „Kampf oder Flucht“) und den Parasympathikus (zuständig für „Ruhe und Verdauung“).
Durch langsames, tiefes Atmen können wir den Parasympathikus aktivieren und so gezielt Stress und Unruhe reduzieren. Umgekehrt kann schnelles, flaches Atmen (z. B. bei Panik) Alarmbereitschaft auslösen. Da wir unseren Atem willentlich steuern können, kannst du ihn als „Hebel“ nutzen, um das normalerweise unbewusste autonome Nervensystem zu beeinflussen. Indem du z. B. den Atem verlangsamst und verlängerst, sendest du dem Körper das Signal „Alles ist ok“. Was messbar Herzschlag und Blutdruck senkt und eine Entspannungsreaktion einleitet.
Die Rolle des Vagusnervs

Eine Schlüsselrolle bei der beruhigenden Wirkung bewusster Atmung spielt der Vagusnerv. Der Vagusnerv ist der längste Nerv im autonomen Nervensystem und verläuft vom Gehirn über den Hals, den Brustkorb bis zu den inneren Organen. Er wird auch Selbstheilungsnerv genannt, weil er Entzündungen ans Gehirn melden und bereits entzündete Areale harmonisieren kann.
Wenn wir tief und ruhig atmen, vor allem mit aktivem Zwerchfell und langsamer Ausatmung, werden Dehnungsrezeptoren in der Lunge stimuliert, die über afferente Fasern den Vagusnerv aktivieren (3). Die Folge ist eine verstärkte parasympathische Reaktion: Der Herzschlag verlangsamt sich, die Bronchien verengen sich leicht, Blutdruck und Cortisolspiegel sinken. Der Körper schaltet in den „Ruhemodus“ (1). Man spricht hierbei auch von einem erhöhten Vagustonus, welcher als Indikator für Entspannung und Regenerationsfähigkeit gilt. Ein gesunder Vagustonus zeigt sich z. B. in einer höheren Herzratenvariabilität (HRV), also größeren zeitlichen Abständen zwischen den Herzschlägen, was für Anpassungsfähigkeit des Herz-Kreislauf-Systems steht (3)(2).
Der Vagusnerv wirkt wie eine Bremse für das Herz und das Stresssystem. Sobald unser Herz zu rasen beginnt oder wir in Alarmbereitschaft gehen, kann ein bewusster Atemzug diese „Vagus-Bremse“ betätigen (4). Durch langsames Ausatmen wird der Vagus gezielt aktiviert und sendet beruhigende Signale: Der Puls sinkt wieder auf ein normales Niveau, wir fühlen uns ruhiger und sicherer.
Diese Selbstberuhigung über den Vagusnerv ist ein wesentliches Prinzip vieler Atemübungen in Yoga und Meditation und sogar klinischer Entspannungstherapie. Insgesamt ermöglicht der Vagusnerv als Vermittler, dass wir über unsere Atmung direkten Einfluss auf Gefühle und körperliche Prozesse nehmen können.
Kontrollierte Atmung und emotionale Zustände
Bewusste, kontrollierte Atmung ist ein effektives Werkzeug, um akute Stress- und Angstzustände zu lindern und innere Ruhe zu fördern. Bei Stress oder Panik atmen Menschen oft schnell und flach – der CO₂-Spiegel sinkt und das kann Schwindel und noch mehr Angst auslösen (Hyperventilation). Durch willentliche Verlangsamung der Atemfrequenz kann diese Dynamik durchbrochen werden. Langsame, tiefe Atemzüge aktivieren den Entspannungsnerv (Vagus) und senken den Pegel der Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin im Körper. Körperlich spüren wir dies als Nachlassen von Herzklopfen, Zittern oder Schwitzen. Subjektiv berichten Menschen, die ein paar Minuten ruhig geatmet haben, von einem Gefühl der Beruhigung, verminderten Angstgefühlen und klarerem Kopf (4).
Wissenschaftlich konnte gezeigt werden, dass schon eine einzige Sitzung mit langsamer Atemübung messbar die Anspannung und Angst reduziert (1). Über regelmäßiges Atemtraining (z. B. durch das Atmen im Vinyasa Yoga) lassen sich längerfristig die Stressreaktionen des Körpers abschwächen. Auch Entzündungsmarker im Blut, wie bestimmte Zytokine, gingen in einer Untersuchung nach einigen Minuten kohärenter Atmung zurück. Ein Hinweis darauf, dass der Körper aus dem „Alarmzustand“ in einen Erholungsmodus wechselt (4). Gleichzeitig berichten Praktizierende kontrollierter Atmung von innerer Ruhe, gesteigertem Wohlbefinden und sogar besserem Schlaf, wenn sie die Techniken regelmäßig anwenden.
Ein Beispiel aus dem Alltag ist die 4-7-8-Atemtechnik oder einfach das bewusste „tief in den Bauch atmen“ bei Nervosität. Diese Techniken verlängern die Ausatmung und sorgen dafür, dass der Vagusnerv maximal aktiviert wird – man fühlt sich beinahe automatisch gelassener und zentrierter. Die beruhigende Wirkung kontrollierter Atmung lässt sich oft schon nach 5–10 langsamen Atemzügen beobachten: Der Puls wird ruhiger und man gewinnt emotionalen Abstand zur akuten Stresssituation. Kurzfristig hilft das gegen akute Angst, langfristig kann regelmäßiges Atemtraining die generelle Stressresistenz erhöhen.
Du möchtest die 4-7-8-Atmung einmal ausprobieren? Hier kannst du dir eine Audiodatei zum Mitüben herunterladen: „5 Minuten Ruhe – Deine Audio-Atempause für zwischendurch“
Neurobiologische Mechanismen: Was passiert im Gehirn?
Atmung beeinflusst nicht nur Herz und Kreislauf, sondern auch direkt die Aktivität im Gehirn. Forscher haben entdeckt, dass der Rhythmus der Atmung bestimmte Hirnareale moduliert, die für Emotionen und Aufmerksamkeit zuständig sind. So gibt es im Hirnstamm ein Zentrum namens Locus Coeruleus – eine kleine Region, die den Neurotransmitter Noradrenalin ausschüttet und damit Wachheit sowie Stressreaktionen steuert. Interessanterweise schwingt der Locus Coeruleus im Takt der Atmung mit: Beim Einatmen steigt seine Aktivität leicht an, beim Ausatmen sinkt sie wieder. Noradrenalin wirkt wie ein „Erregungs-Booster“ im Gehirn – in Maßen fördert es Fokus und Stimmung, bei einem Zuviel hingegen fühlen wir uns gestresst oder ängstlich. Die gekoppelte Aktivität des Locus Coeruleus mit unserem Atemrhythmus deutet darauf hin, dass wir durch Atemkontrolle indirekt den Noradrenalinpegel im optimalen Bereich halten können. Das erklärt, warum Atem-Meditation die Konzentration schärfen und emotionale Balance verbessern kann: Unser Gehirn wird durch den regelmäßigen Atemzyklus quasi rhythmisch beruhigt und optimal erregt zugleich (2).
Ein weiterer wichtiger Bereich ist das limbische System, speziell die Amygdala – das Gefühlszentrum des Gehirns – und der Hippocampus, der an der Gedächtnisbildung beteiligt ist. Eine Studie der Northwestern University fand heraus, dass die Atmungsphase die Aktivität in Amygdala und Hippocampus beeinflusst. Beim Einatmen wurden vermehrt Neuronen in diesen Regionen angeregt, bei der Ausatmung flachte die Aktivität ab. Dadurch waren Probanden z. B. schneller darin, ein ängstliches Gesicht als ängstlich zu erkennen, wenn sie in dem Moment einatmeten, verglichen mit dem Ausatmen (5). Diese Ergebnisse zeigen, dass der Atemrhythmus unmittelbar mit der emotionalen Verarbeitung im Gehirn verknüpft ist – insbesondere mit der Furcht- und Stressreaktion der Amygdala. Vereinfacht gesagt, kann tiefes, ruhiges Atmen die Amygdala „beruhigen“, sodass Angstreaktionen gedämpft werden. Tatsächlich beobachtet man in Gehirnscans von Menschen in Meditation oder nach Atemübungen eine geringere Aktivität der Amygdala und eine stärkere Aktivierung frontaler Hirnareale, die für Kontrolle und Aufmerksamkeit zuständig sind (6). Dies spricht dafür, dass bewusste Atmung die höhere Hirnkontrolle über emotionale Impulse fördert – man reagiert gelassener statt impulsiv.
Neben Noradrenalin spielen vermutlich noch weitere Neurotransmitter eine Rolle. Studien deuten an, dass regelmäßige Atem- und Yoga-Praktiken den Spiegel von GABA (Gamma-Aminobuttersäure) im Gehirn erhöhen können (4). GABA ist der wichtigste hemmende Neurotransmitter und wirkt beruhigend sowie angstlösend. Ein Anstieg von GABA durch Atementspannung würde also die Angstbereitschaft senken und ein Gefühl von Ruhe fördern – was gut zu den berichteten Entspannungseffekten passt. Gleichzeitig sinken im Entspannungszustand die Pegel der Stress-Botenstoffe Adrenalin und Cortisol im Blutkreislauf. Auch das Hormon Serotonin, welches Wohlbefinden vermittelt, könnte indirekt positiv beeinflusst werden, da Entspannung und ein ruhiger Atem mit verbesserten Stimmungslagen einhergehen.
Alles in allem greifen beim Zusammenhang von Atmung und Emotion viele biologische Zahnräder ineinander: Von den Lungenrezeptoren über den Vagusnerv, über Hirnstamm und limbisches System bis zur Großhirnrinde und diversen Neurotransmittern. Diese Mechanismen erklären, warum etwas so Einfaches wie bewusste Atmung einen so tiefgreifenden Effekt auf unser Gefühlsleben haben kann.
Wissenschaftliche Studien: Bewusste Atmung und emotionale Regulation
In den letzten Jahren hat die Forschung zahlreiche Belege dafür geliefert, dass bewusste Atemtechniken tatsächlich die emotionale Regulation verbessern und die Gehirnaktivität messbar verändern. Einige Beispiele:
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Stress- und Angstreduktion: Eine Meta-Analyse von 2023 in Scientific Reports wertete mehrere randomisierte Studien zu Atemübungen (Breathwork) aus und fand eine signifikante Verringerung von Stress und Angst in der Atemgruppe gegenüber Kontrollgruppen. Die Effektstärke war klein bis mittel, aber konsistent – Atemübungen waren wirksam darin, subjektiven Stress und auch Depressionssymptome zu senken (7). Eine andere Übersichtsarbeit kommt zu dem Schluss, dass Atemtherapie als eigenständige Behandlung oder als Ergänzung zu Psychotherapie effektiv Angststörungen lindern kann (8). Diese wissenschaftlichen Reviews untermauern, dass die altbewährte „beruhigende Atmung“ mehr ist als Placebo: Sie hat messbare, positive Effekte auf die psychische Gesundheit.
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Veränderte Hirnaktivität: Neurowissenschaftliche Studien mit EEG und fMRI zeigen, dass langsames Atmen mit veränderten Gehirnwellen und Aktivitätsmustern einhergeht. So wurde bei Probanden in Atem-Meditation ein Anstieg der Alpha-Wellen (assoziiert mit entspannter Wachheit) und eine Abnahme der Theta-Wellen (assoziiert mit Unruhe oder Schläfrigkeit) beobachtet. Eine fMRI-Studie berichtete zudem von erhöhter Aktivität in Hirnregionen, die an der autonomen Steuerung und Aufmerksamkeitsregulation beteiligt sind (u. a. im Hirnstamm, Hypothalamus und präfrontalen Kortex) während langsamer Atmung (9). Dies passt zu den subjektiven Berichten von besserer Konzentration und emotionaler Stabilität: Das Gehirn schaltet durch Atemübungen offenbar in einen Modus gesteigerter Gleichzeitigkeit von Ruhe und Wachsamkeit. Auch die oben erwähnte Northwestern-Studie belegte, dass der Atemrhythmus limbische Hirnareale wie die Amygdala moduliert (10) – ein direkter Hinweis darauf, dass bewusste Atmung die neuronale Verarbeitung von Emotionen beeinflusst.
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Verbesserte emotionale Regulation: In klinischen Studien mit Menschen, die unter Angststörungen, PTSD oder hohem Stress leiden, zeigte sich, dass Atemtechniken (z. B. pranayama aus dem Yoga oder moderne Atemtherapien) zur Emotionsbewältigung beitragen. Teilnehmer berichten von weniger Angstattacken und einem größeren Gefühl der Kontrolle über aufkommende Stressreaktionen. Neurobiologisch lässt sich das auf die zuvor beschriebenen Mechanismen zurückführen – insbesondere die Aktivierung des Vagusnervs und die Dämpfung hyperaktiver Stresszentren im Gehirn. Bewusste Atmung wird daher in Therapieprogrammen – beispielsweise als Teil der Achtsamkeitsbasierten Stressreduktion (MBSR) oder Traumatherapie – gezielt eingesetzt, um die Selbstregulationsfähigkeit des Nervensystems zu stärken. Eine Studie mit Kriegsveteranen fand, dass ein mehrwöchiges yogisches Atemtraining PTSD-Symptome deutlich minderte und gleichzeitig die Herzfrequenzvariabilität steigerte, was auf einen Zuwachs an parasympathischer Aktivität hindeutet (11). Dies demonstriert, dass durch Atemübungen sowohl psychische Symptome gelindert als auch objektive physiologische Marker der Entspannung verbessert werden.
Zusammenfassend bestätigen solche Forschungsergebnisse, dass bewusste Atmung ein kraftvolles Instrument der emotionalen Regulation ist. Sie vermittelt zwischen Körper und Geist: Indem wir den Atem beruhigen, beruhigt sich auch die Psyche. Moderne Gehirnscans und Herzmessungen liefern greifbare Belege dafür, dass sich durch Atemübungen Stressreaktionen abschwächen, Angst vermindern und sogar die neuronale Aktivität in Richtung eines gelasseneren, fokussierteren Zustands verschiebt.
Fazit
Für Yoga-Übende ist es keine Überraschung, dass der Atem eng mit dem seelischen Wohlbefinden verknüpft ist, doch nun untermauert die Neurowissenschaft diese Verbindung mit Fakten. Durch langsame, tiefe Atemzüge wird das autonome Nervensystem in Balance gebracht: Der Sympathikus darf zur Ruhe kommen, der Parasympathikus entfaltet seine beruhigende Wirkung. Der Vagusnerv als wichtigster Entspannungsnerv spielt dabei den Vermittler und senkt Herzschlag und Stresspegel. Im Gehirn werden Angstzentren wie die Amygdala gedämpft, während Botenstoffe wie Noradrenalin und GABA ins Gleichgewicht finden, sodass wir einerseits wacher, aber gleichzeitig gelassener sind. Zahlreiche Studien belegen inzwischen, dass Atemübungen Stress reduzieren, Angst lindern und die emotionale Balance fördern. Und zwar sowohl subjektiv spürbar als auch objektiv messbar in Form von veränderter Hirn- und Herzaktivität (7), (9).
Bewusste Atmung ist damit ein leicht zugängliches und wirkungsvolles Mittel, um Körper und Geist in Einklang zu bringen. Ob in akuten Stressmomenten oder als tägliche Praxis: Ein paar tiefe Atemzüge können das Nervensystem resetten und uns zurück in unsere Mitte holen. Die Wissenschaft beginnt erst, all die Feinheiten dieser Atem-Geist-Verbindung zu verstehen, doch eines ist klar – tief durchatmen lohnt sich für unsere emotionale Gesundheit (12).