AUTONOMES NERVENSYSTEM UND STRESS: DER UNTERSCHÄTZTE ZUSAMMENHANG

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Es ist spät am Abend, und du gehst allein durch eine schummrige Straße in einem der älteren Viertel von New York. Die Straßenlaternen flackern, und der Wind lässt die Schatten der Bäume im Mondlicht unheimlich tanzen. Plötzlich hörst du hinter dir das knirschende Geräusch von Schritten auf dem Pflaster. Dein Herz beginnt zu rasen, ein kalter Schauer läuft dir über den Rücken, deine Hände werden feucht. Dir stockt fast der Atem. Du fühlst, wie das Adrenalin durch deine Adern schießt.

Vielleicht kennst du solche Momente. Aber was genau läuft da eigentlich in uns ab? Und vor allem: Wie finden wir danach wieder zurück in unsere Mitte? Genau darum geht es in diesem Artikel. Wir schauen uns an, wie unser Nervensystem funktioniert, wie es auf Bedrohung reagiert und was du ganz konkret tun kannst, um es wieder in Balance zu bringen.

Der Sympathikus in Aktion

In dem Moment, in dem du die Schritte hinter dir hörst, tritt dein autonomes Nervensystem (der Teil, des Nervensystem, autonom, ohne unsere bewußte Entscheidung abläuft) in Aktion. Der Sympathikus, der Teil dieses Nervensystems, der für die „Kampf-oder-Flucht“-Reaktion verantwortlich ist, wird aktiviert. Sofort schüttet dein Körper Stresshormone wie Adrenalin und Noradrenalin aus. Diese Hormone steigern die Herzfrequenz, erhöhen den Blutdruck und leiten mehr Sauerstoff in deine Muskeln, um dich auf eine schnelle Reaktion vorzubereiten. Gleichzeitig werden weniger dringende Funktionen wie die Verdauung heruntergefahren, um alle Ressourcen auf das Überleben zu konzentrieren. Das ist übrigens einer der Gründe, warum Menschen Gewicht zunehmen, wenn sie gestresst sind. 

Dein Atem wird schneller und flacher, um den erhöhten Sauerstoffbedarf zu decken, und deine Sinne werden schärfer, um jede noch so kleine Veränderung in deiner Umgebung wahrzunehmen. Dieser uralte Mechanismus hat unseren Vorfahren das Überleben gesichert und sorgt dafür, dass du in Sekundenbruchteilen handlungsfähig bist. (1)

Der Parasympathikus – der Gegenspieler des Sympathikus

Endlich zu Hause angekommen, schließt du die Tür hinter dir und lehnst dich einen Moment erschöpft dagegen. Du atmest tief durch und spürst, wie sich dein Herzschlag langsam beruhigt. Du machst ein Kaminfeuer an, hüllst dich in eine warme Decke, machst dir eine Tasse Tee. Die Herzfrequenz sinkt, die Muskeln entspannen sich. Langsam merkst du, wie sich die Anspannung löst und wieder Ruhe einkehrt. Dein Parasympathikus hat nun wieder die Kontrolle und bringt deinen Körper in einen Zustand der Entspannung und Regeneration.

Er ist der Teil deines autonomen Nervensystems, der für Erholung, Regeneration und inneres Gleichgewicht zuständig ist. Während der Sympathikus dich auf Aktion vorbereitet, sorgt der Parasympathikus dafür, dass du dich wieder entspannen, verdauen, schlafen und regenerieren kannst.

Er aktiviert Prozesse wie:

  • die Verdauung (der Magen-Darm-Trakt beginnt wieder zu arbeiten),

  • die Zellreparatur und das Immunsystem,

  • die Verlangsamung des Herzschlags und der Atemfrequenz,

  • die Muskelentspannung,

  • das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit.

Sobald der Parasympathikus aktiv wird, stellt dein Körper von Anspannung auf Erholung um. Von Überleben auf Leben. (2)

Klar Denken in stressigen Situationen – Die innere Balance bewahren

In unserem Alltag sind es selten Schritte in der Nacht, die unser Nervensystem aktivieren. Eher zu viele E-Mails, zu viele Entscheidungen, die getroffen werden müssen, zu viele Menschen, die etwas von einem wollen. Vielleicht auch ein Streit mit dem Partner. Unser Körper reagiert, als ginge es ums Überleben. Und wenn das zu oft vorkommt gibt´s ein Problem: Der Sympathikus wird zum Dauerzustand.

Natürlich brauchen wir beide Systeme. Der Sympathikus hilft uns, aufzustehen, Dinge zu bewegen, zu entscheiden. Der Parasympathikus sorgt dafür, dass wir reflektieren, regenerieren und bei uns bleiben. Doch wenn nur noch der erste aktiv ist, verlieren wir die Fähigkeit, klar zu sehen. Und zu spüren, was wirklich wichtig ist.

Viele Menschen treffen in Stressphasen Entscheidungen, die sie später bereuen. Nicht, weil sie dumm sind, sondern weil ihr Körper auf Alarm gepolt ist. Rationalität, Mitgefühl, Intuition: all das wird unterdrückt, wenn der Notfallmodus übernimmt.

Aber wir sind dem nicht ausgeliefert. Wir können auf unseren Zustand Einfluss nehmen.Autonomes Nervensystem

Strategien, die das Nervensystem beruhigen

Dein autonomes Nervensystem läuft, wie der Name sagt, automatisch. Aber das heißt nicht, dass du ihm ausgeliefert bist. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, mit denen du es beeinflussen und beruhigen kannst – besonders dann, wenn Stress, Druck oder Überforderung übernehmen.

  • Bewegung – nicht zum Auspowern, sondern zum Innehalten

Sanfte, bewusste Bewegung wie langsames Gehen, achtsames Yoga (z.B. Yin Yoga) oder sanfte Dehnung bringt dein Nervensystem zurück ins Spüren. Es geht nicht darum, „Sport zu machen“, sondern darum, den Körper als sicheren Ort zu erleben. Bewegung in Verbindung mit Atem – ohne Leistungsanspruch – hilft, innere Anspannung abzubauen und wieder Boden unter den Füßen zu spüren.

Wenn du genauer wissen willst, was genau „Yin Yoga“ ist und es ausprobieren willst: Hier geht´s zu meinem Blogbeitrag „Was ist Yin Yoga – 9 Gründe, warum du es herausfinden solltest

  • Berührung – bewusst und langsam

Berührung wirkt über die Haut direkt auf das Nervensystem. Eine ruhige Hand auf dem Herzen oder eine sanfte Massage vermitteln ein Gefühl von Sicherheit. Oxytocin, das sogenannte Bindungshormon, wird ausgeschüttet und wirkt wie ein Gegengewicht zum Stress.

  • Temperaturreize – der Körper erinnert sich

Warme Reize wie ein heißes Bad signalisieren deinem Körper Geborgenheit und helfen so, aus dem inneren „Fluchtmodus“ auszusteigen. Umgekehrt kann gezielte Kälte, z. B. kaltes Wasser auf Gesicht oder Handgelenken, in akuten Stressmomenten helfen, den Kopf zu „resetten“ und dich wieder ins Hier und Jetzt zu holen. Wichtig ist: bewusst, achtsam, dosiert.

  • Klang und Geräusche – der Vagusnerv hört mit

Klänge wirken direkt auf den Vagusnerv, der maßgeblich an der Entspannung beteiligt ist. Naturgeräusche, gleichmäßige Rhythmen oder tiefe Töne können dein System beruhigen. Passend ist nicht, was „spirituell“ klingt, sondern was dich in Resonanz bringt. Vielleicht ist es sanfte Musik, vielleicht auch einfach nur Stille.

  • Rückzug und bewusste Stille – nicht Flucht, sondern Rückkehr

Ein paar Minuten der bewussten Stille – ohne Input, ohne Bildschirm, ohne Gespräch – sind für das Nervensystem wie ein tiefes Ausatmen. Es geht nicht um „richtige“ Meditation, sondern einfach nur um Raum. Raum für dich. Raum für das, was da ist. Ohne Bewertung. Nur beobachten, wahrnehmen, da sein. 

Doch es gibt einen Zugang, der besonders direkt, praktisch und tiefgreifend ist – und den du immer bei dir trägst: Der Atem

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Der Atem als Brücke zwischen Körper, Geist und Seele

Der Atem ist das einzige Werkzeug, mit dem du direkten Zugriff auf dein autonomes Nervensystem hast. Er verbindet Körper, Emotion und Geist – und erlaubt dir, aus der Reaktion in die bewusste, klare, sinnvolle Handlung zu kommen.

Ist dir das schon einmal aufgefallen?

  • Wenn du gestresst bist, wird dein Atem flach, schnell, unruhig.
  • Wenn du abends entspannt auf der Couch liegst, ist dein Atem tief, gleichmäßig und ruhig.

Unser Atem ist direkt mit deinem autonomen Nervensystem verbunden. 

Diese Verbindung kannst du nicht kappen, aber du kannst sie nutzen.

Der Atem ist Spiegel und Werkzeug zugleich. Er sagt dir, wie es dir gerade geht. Und: Du kannst über ihn direkt darauf Einfluss nehmen.

Wenn du deinen Atem veränderst, beeinflusst du deine Emotionen, deine Gedanken, deinen inneren Zustand.

Der Atem ist die Brücke zwischen dem, was in dir passiert – und dem, wie du damit umgehst.

Zwischen deinem Körper, deinem Geist und deiner Seele.

Er führt dich zurück in die Gegenwart. In die Verbindung mit dir selbst. In die Verbindung mit dem, was jetzt ist. 

Und genau deshalb ist er so kraftvoll: Er bringt dich nicht nur zur Ruhe und in die Klarheit – er bringt dich zurück zu dir. 

Das Autonome Nervensystem und der Atem

Atemübung: Im Gleichklang – Ruhe durch Rhythmus und Präsenz

In herausfordernden Situationen einen ruhigen Kopf zu bewahren, ist selten eine Frage der Theorie und des Wissens– sondern eine Frage der Präsenz. Wenn Dinge überhandnehmen, reagieren wir oft impulsiv oder verlieren den Überblick. Genau hier liegt der Schlüssel: Wer es schafft, inmitten des Trubels bewusst lang und tief zu atmen, kann klarer denken und zielgerichteter handeln.

Ein ruhiger, tiefer, gleichmäßiger Atem bringt nicht nur körperliche Beruhigung – er schafft auch inneren Raum. Einen Raum, in dem du bewusst entscheiden kannst, anstatt automatisch zu reagieren. Diese Qualität kann man üben. Nicht durch Anstrengung, sondern durch Achtsamkeit. 

Nimm doch schonmal einen tiefen Atemzug. Ein durch die Nase. Aus durch den Mund.

So geht´s

  • Setz dich aufrecht und entspannt hin. Beide Füße auf dem Boden, die Hände locker auf den Oberschenkeln.
  • Schließe sanft die Augen, wenn du magst – oder richte den Blick weich auf einen Punkt vor dir.
  • Atme tief durch die Nase ein – zähle dabei langsam bis vier.
  • Halte den Atem sanft an – zähle dabei bis zwei.
  • Atme langsam und ruhig durch die Nase aus – ebenfalls vier zählen.
  • Halte den Atem erneut an – wieder für zwei.
  • Und dann: Wieder von vorn. 
  • 4 ein – 2 halten – 4 aus – 2 halten.
  • Ganz in deinem Tempo. So ruhig, wie es für dich angenehm ist. Ohne Druck. Ohne Müssen.
  • Wiederhole diesen Atemzyklus für zwei bis fünf Minuten – oder solange, bis du spürst: Jetzt bin ich wieder bei mir.

Was diese Atmung bewirkt

  • Der gleichmäßige Rhythmus gibt deinem Nervensystem Halt und Orientierung.
  • Die sanften Atempausen zwischen Ein- und Ausatmung wirken wie kleine Momente der Stille – sie unterbrechen die innere Hektik.
  • Der tiefe Atem versorgt deinen Körper mit Sauerstoff – und deinen Geist mit Klarheit.

Diese Atmung ist wie ein innerer Reset-Knopf. Einfach. Wirksam. Jederzeit verfügbar.

Fazit: Du hast es in der Hand – und im Atem

Dein Nervensystem ist kein Gegner, den du kontrollieren musst. Es ist ein intelligentes, feinfühliges System, das dich schützt, reagiert, steuert. Manchmal vielleicht überreagiert, aber immer in der Absicht, dich zu schützen. 

Wenn du verstehst, wie Sympathikus und Parasympathikus zusammenarbeiten, kannst du aufhören, gegen deinen Körper zu kämpfen.

Stattdessen beginnst du, mit ihm zu arbeiten. In Verbindung. Im Einklang.

Und genau hier kommt der Atem ins Spiel. Er ist mehr als eine Technik. Er ist dein Zugang zur Präsenz, deine Brücke zwischen Reiz und Reaktion, zwischen Körper, Geist und Gefühl.

Mit jedem bewussten Atemzug nimmst du Einfluss. Du holst dich aus dem Autopiloten zurück. Du entscheidest, wie du auf das Leben antwortest – statt nur zu reagieren.

Der Atem verändert nicht die Welt da draußen.

Aber er verändert, wie du in ihr stehst.

Und das ist vielleicht der wichtigste Schritt zurück zu dir.

 

Schreibe gern in die Kommentare: Wie ist es dir ergangen? Konntest du schon Veränderungen bemerken? Zu welchem Thema wünschst du dir etwas zu erfahren?

About the author

Dieser Artikel ist das Ergebnis aus 20 Jahren Erfahrung, Aus- und Fortbildung und ihrer einzigartigen Fähigkeit, Menschen in der Tiefe ihrer Seele zu erkennen.

  • mehr als 10 Ausbildungen im Bereich Yoga
  • mehr als 7-jährige intensive Praxis in der Zen Buddhistischen Tradition
  • 2-jähriges Studium der Bhagavad Gita bei Svamini Pramananda (Ammaji)

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